In der in GranadaLetzte maurische Hochburg auf der Iberischen Halbinsel, deren Fall 1492 das Ende der Reconquista markierte. eingenommenen Wohnung war Don Isaak AbarbanelIsaac Abravanel, ein bedeutender jüdischer Staatsmann, Philosoph und Bibelkommentator, der als Finanzberater für verschiedene Monarchen, einschließlich Ferdinand und Isabella, tätig war. mit seinem Sohne Jehudah im ernsten Gespräch begriffen. Letzterer stand in der Blüthe seines Lebens, ein stattlicher Jüngling, von edler Haltung und Gesinnung. Mit den Söhnen der Großen aufgewachsen, hatte sein ganzes Benehmen den Stempel spanischer Grandezza gewonnen, aber sein jugendlicher Sinn erhielt durch seine äußere günstige Lage eine leichte Ansicht des Lebens und wendete sich mehr den Licht= als den Schattenseiten desselben zu. Anhaltende ernste Studien in der Gottesgelahrheit seiner Nation, vielseitige Welterfahrung hatten den Vater nur den Ernst des Lebens kennen gelehrt, Jehudah war vertrauter mit den süßen Klängen der spanischen Poesie und mit der aufblühenden Literatur des Volkes; er wollte aus jeder Blume der Freude süßen Honig ziehen. Auf jenem lastete das Unglück seiner Nation schwer, er sah das Verderben mit Riesenschritten nahen, er hatte die Muße eines einsamen Lebens und seine Lieblingsbeschäftigungen nur verlassen, um seinem Volke in einer höhern Stellung zu nützen, um dessen Elend zu lindern, und bei der Unentbehrlichkeit für FerdinandsFerdinand II. von Aragon, einer der "Katholischen Könige" Spaniens. und IsabellensIsabella I. von Kastilien, Ferdinands Ehefrau und Mitregentin. finanzielle Verhältnisse war es ihm auch gelungen, wenn auch seine Hand die Abtrünnigen nicht zurückhalten und von ihrem gewissen Untergange befreien konnte. Auch war die Abneigung, die er gegen die gezwungenen und freiwilligen Abtrünnigen hatte, zu groß, als daß er dem Schicksal derselben, die dem Drucke des Clerus erlagen, viel Aufmerksamkeit zu schenken vermochte. Der Sohn war in Vielem entgegengesetzten Sinnes, er empfand die drückenden Verhältnisse, die ihm seine Religion auflegte, und obgleich er es nimmer gewagt hätte, vor den Augen des Vaters von ihr abzufallen, so legte er doch kein Gewicht auf die Form des Glaubens, viel weniger daß er sich den Ceremonieen des Gottesdienstes so ängstlich unterzogen hätte.
„Hast du, mein Sohn, die Aeltesten der Gemeinde gesprochen? hast du ihre Wünsche vernommen, ihre Bedürfnisse ersehen?"
„Ich habe sie zu Euch beschieden, Vater, ich mag meine Zeit nicht mit diesen kleinlichen Kümmernissen vergeuden."
„Kleinliche Kümmernisse, Jehudah? Vielleicht nach deinem Sinne gemessen. Deine Zeit vergeuden! Du hast sie freilich edler anzuwenden, die Straßen Granada's in Begleitung deines Freundes Alonzo, mit der Mandoline bis zur Mitternacht zu durchwandern!"
„Scheltet nicht, Vater! Könnte ich mit meinem Herzblute die Freiheit unserer Glaubensgenossen erkaufen, bedürfte es meines Lebens, um Alles auf einmal zu erringen, ich gäbe es willig hin, aber auf jedem Schritte neue Schwierigkeiten zu bekämpfen, um die Erhaltung einer alten Synagoge mich mit Mönchen und Pfaffen herumzuzanken, die beständigen Einwendungen gegen unsere Lehren mit anderer Scholasticität zu erwiedern, durch die Hecken kleinlicher Verhältnisse sich durchzuwinden und durch jeden Dorn an unserm bessern Selbst verwundet zu werden, — dazu, ich gestehe es, habe ich die Ausdauer nicht, auch ist der Erfolg zu unbedeutend."
Abarbanel sah den Jüngling lange betroffen an. „Sieh' mein Sohn," — hier führte er ihn an das offene Fenster, wo eine ferne Aussicht, nur durch Berge begrenzt das Auge erquickte, — „sieh' jene Trauerweide, ihre herabhangenden Zweige, seit langen Jahren beugen sie Wind und Sturm und Ungewitter, sie senkt sich, schmiegt sich herab, die Zweige aber beschützen ihren Stamm; aber sieh auch jenen starken Eichbaum, den der Sturm zu Boden geschlagen. Der Trauerweide, den Stürmen sich beugend, aber nach ihnen sich erhebend, gleichet Israel. Durch Bestehung der kleinlichen Kümmernisse, wie du sie nanntest, widerstehen wir der Zeit mit ihren Schrecknissen und lösen unsere Aufgabe, als Ueberbleibsel vergangener Jahrhunderte für die Ewigkeit zu dauern, ein lebendiges Zeugniß zu geben den Völkern von den Wundern unserer darum unbegreiflichen Geschichte und von der Offenbarung des einigen Gottes. Sieh, darum ist die Rolle, die wir in der Weltgeschichte spielen, keine glänzende, aber eine unvergängliche, keine von der Größe der Erde gehobene, aber eine geistig angestaunte, darum bilden wir kein Reich, aber eine Nation unter den Völkern der Erde, darum sind wir nicht selbstständig und kraftvoll, aber unverwüstliche Denkmäler alten Lebens. Tausende von Nationen sind verschwunden, die Herrschaft der Mauren ist vor unseren Augen zu nichts geworden, denn sie war eine Herrschaft von dieser Welt und setzte sich starr dem Bestehenden entgegen, wir wichen, rettend unsere Kleinodien, der Allgewalt, die uns nicht zertrümmern konnte."
„Ich beuge mich vor meines Vaters hohem Sinne, auch möchte ich keine Minute dieses edeln Lebens verbittern, aber ich liebe das Leben, Vater, wie es sich freundlich mir zeigt."
„O daß es immer sich dir so zeigen möchte, aber die Zeit wird kommen, wo es ernster auch für dich wird. Nun, was du nicht im Namen des Glaubens thust, das verrichte im Namen der Menschlichkeit. Führe die Aeltesten zu mir. Hier sind einige Bittschriften der durch die Belagerung Verarmten, vor Allem dies Schreiben der verwaiseten Tochter eines deutschen Gelehrten. Begieb dich selbst zu den Dürftigen, die Mittel zur Hülfe stehen dir zu Gebot."