Kopfschüttelnd verließ Jehudah seinen Vater. Recht hatte er gesprochen, für Freiheit, Freundschaft, für das spanische Vaterland wäre er fähig gewesen, sein Leben zu opfern, — aber es war dem unerfahrnen Gemüthe des Jünglings nicht deutlich, wie sein Vater, geehrt vom Könige und den Großen unentbehrlich, seinen Einfluß durch die stete Verwendung für seine Glaubensgenossen, die ihm nicht selten seine Güte mit Undank lohnten und von denen Viele sein Glück mit neidischen Augen ansahen, schwächen konnte; er glaubte einzusehen, daß ohne diese Grille Abarbanel bei weitem glänzender bestehen könnte und ein weniger ängstliches Leben zu führen brauchte. Gerade diese stete Angst um Andere sagte seinem freien Geiste nicht zu. Er durchblätterte die ihm übergebenen Papiere und beschloß zuerst die junge Jüdin aufzusuchen, die ihm sein Vater vor Allem empfohlen hatte. Da begegnete ihm sein Freund Alonzo. Auch dieser, entsprossen aus einer edlen aber verarmten spanischen Familie, Offizier im königlichen Heere, liebte einen freudigen Genuß des Lebens, dabei nicht weniger edelmüthig gesinnt als sein Jugendfreund. Beide waren zusammen in LissabonDie Hauptstadt Portugals, damals ein bedeutendes Zentrum für Handel und Seefahrt. erzogen, wohin ein Verwandter den früh verwaiseten Alonzo zu sich genommen, und an den romantischen Ufern des TegoDer Fluss Tajo, der durch die Iberische Halbinsel fließt und in Lissabon ins Meer mündet. hatten sich die jungen Herzen erschlossen und ewige Freundschaft geschworen. Alonzo, obgleich sich seiner Abstammung gern erinnernd, war erhaben über alle Rücksichten des Glaubens und der Geburt, bei ihm erregte das Paternoster eines feisten Mönchs denselben Spott als das andächtige Gemurmel eines Rabbinen; Freundschaft, Gesang und Saitenspiel gingen ihm über Alles, unmerklich waren gleiche Sinnesart und Neigung auf den empfänglichen und glühenden Jehudah übergegangen. Beide nahmen zuweilen an dem wilden Geräusch der Jugend Antheil, aber nur, um nachher ihrer stilleren und gemüthlicheren Freuden desto froher zu werden und in der Natur, den schönen Wissenschaften und Künsten eine edlere Beschäftigung zu suchen.

Als sie sich heute begegneten, war Alonzo so eben aus einem Gelage zurückgekehrt, das mehrere seiner Kampfgenossen gegeben hatten, er war froh, dem lärmenden Vergnügen entronnen zu sein und nichts Angenehmeres konnte ihm begegnen, als den Freund zu finden.

„So in Gedanken, Jehudah?"

„Ich bin heute Almosenier meines Vaters. Durchlese ich diese Schreiben hier, so wird es schwer zu entscheiden, wo die meiste Noth zu treffen wäre und wohin ich zuerst die Denaren spenden sollte, aber die bescheidene Armuth hat das Vorrecht. Ich habe zuvörderst die Abfasserin dieses zierlichen Schreibens aufzusuchen. Willst du mich begleiten?"

Alonzo schloß sich willig dem Freunde an. Bald hatten sie das Haus gefunden und betraten das uns bekannte Gemach, wo das reizendste weibliche Wesen den edelsten der Väter beweinte. In ein Buch vertieft trafen sie Dinah, die beim Eintritt der Jünglinge zuerst sichtbar erschrak, dann erröthete; indessen gab ihr das feine und gemessene Benehmen derselben Ursache und Zeit, sich von dem Schrecken zu erholen, den schon das Anklopfen der Männer in einer so bewegten Zeit verursachen mußte. Dennoch konnte man deutlich die Unruhe ihres Herzens in den rascheren Athemzügen und dem ängstlich sich hebenden und senkenden Busen bemerken. Auch die Jünglinge waren betreten. Es gibt keinen ergreifendern Anblick, als die leidende weibliche Schönheit; unter allen weiblichen Wesen aber, die sie in Altspanien gesehen, war ihnen nie ein solches erschienen. Das lange Trauergewand, die herabhängenden Locken, durch keine maurische Tracht versteckt, erhöheten das Interessante der Figur und des Gesichtes, und machten die Blässe, Folge der Entbehrungen und des Leidens, noch merklicher. Die geistige Beschäftigung, die sie so eben verließ, trug dazu bei, ihren Blick verklärter zu machen, und bei allem dem eine seltene Ruhe der Körperhaltung, eine Ehrfurcht gebietende Stellung, die, ohne herrschen zu wollen, doch zurückhielt und als natürlich und angeboren erschien.

„Verzeiht, würdige Jungfrau, wenn wir Euch in Eurer heiligen Beschäftigung stören," begann Jehudah, „mein Vater, der königliche Geheimrath Don Isaak Abarbanel, sendet mich hierher. Ihr seid durch ein trauriges Verhängniß in eine bittere Lage gerathen, Ihr verlanget von meinem Vater Rath in dieser Bedrängniß."

„Hat der edle Sennor, Euer würdiger Vater, meine Bitte einer so schnellen Beachtung werth gehalten, so kann mein Dank nicht größer sein, als sein Herz."

Jehudah hätte in diesem Augenblick alle Schätze seines Vaters gegeben, heute so bereitwillig gewesen zu sein und hier zu stehen. Und dennoch fühlte er eine nie gekannte Beklemmung in seiner Brust, es schien ihm, als sei er der Bittende und das einfache Mädchen vor ihm die Gebieterin, er sah bald Alonzo an, der in seinem Mantel gehüllt mit unverwandten, von Thränen glänzenden Augen auf die Jüdin sah, bald auf Dinah, welche die schönen Augenwimpern niederschlug und auf die Erde blickte. Beide Jünglinge waren bei allem Leichtsinn unverdorben, die leidenschaftliche Begier hatte sie noch nicht gelehrt, mit frechem Auge auf weibliche Anmuth zu sehen; Beide schienen aber gleich betroffen, nur daß Alonzo in sich versunken gleich einer griechischen Bildsäule dastand, Jehudah sein erregtes Gemüth äußerlich nicht zu verbergen vermochte. So trat eine Pause ein, die Dinah erst wieder unterbrach.

„Ich habe während der Belagerung meinen Vater verloren, ein verzehrendes Fieber besiegte seine noch kräftige Natur, — in meinen Armen starb der Edle, der hier ein neues Vaterland gesucht hatte, aber nur sein Grab fand. Ein alter Maure, der mit dem Vater sich früher oft von der Sternwissenschaft unterhalten, veranstaltete sein Begräbniß bei der durch Leiden niedergedrückten und den schrecklichsten Verfolgungen in der Zeit der Noth ausgesetzten Gemeinde und unterstützte mich mit seinen spärlichen Mitteln. Auch er überlebte den Untergang seiner Nation nicht. Ich stehe jetzt allein, ganz allein, ohne Freund und Verwandten auf dieser weiten Erde, — ich bin zu jung, um von Almosen zu leben, mein Geschlecht verbietet ernste Beschäftigungen, — Erzieherin von Kindern oder Duenna bei einem edeln weiblichen Wesen zu werden, wäre mein Wunsch, um Unter halt und Zerstreuung von trüben Gedanken zu finden." Heiße Thränen perlten bei diesen Worten die zarte Wange hinab, Dinah stemmte die Hand auf den Tisch mit einem erhabenen, aber mit Wehmuth erfüllten Blick.

„Mein Vater wird, er muß für Euch sorgen, edles Mädchen," sprach jetzt Jehudah feurig, auf sie zuschreitend und ihre Hand fassend, „tröstet Euch, Don Isaak Abarbanel ist Vater der Waisen, Ihr werdet an ihm Freund und Rathgeber finden. Seid zufrieden indeß mit diesem Wenigen, um nicht zu darben. Morgen bin ich wieder bei Euch."

„Aber wie, sprach jetzt Alonzo, fürchtet ihr Euch nicht, holdes Mädchen, bei diesem wilden Leben, in Granada allein zu sein. Wie leicht kann Euch ein Unheil treffen und Eure Freunde wären fern."

„Die Straße ist abgelegen, das Haus unansehnlich, der Uebermuth sucht die Hütten nicht auf; aber freilich zage ich doch jede Stunde und vertraue nur Gottes Schutz. Er schläft und schlummert nicht, der Hüter Israel's"

„Und wie wär's," meinte Jehudah, „wenn ich Euch noch heute nach meines Vaters Hause brächte, wo Ihr sorglos und ungekränkt leben könnet?"

Dinah wußte einen Augenblick nicht zu antworten. „Sennor, nicht umsonst harrt Israel der Errettung durch Euern königlichen Stamm. Wahrlich, Ihr seid ein herrlich Reis an seinen Zweigen, die Abarbanels sind ihrer Ahnen würdig. Dank, o herzlichen innigen Dank Euch, aber lasset mich heute noch in dieser Klause, schwer wird es mir ohnehin, mich von ihr zu trennen, sie hat meines Lebens Stolz und Zierde enden sehen. Gruß und Glück dem Don Isaak Abarbanel!"

Die Jünglinge entfernten sich und gingen schweigend neben einander. Sie hatten noch nicht gelernt, ihre Gefühle unter der Maske äußerer Gleichgültigkeit zu verbergen. Jehudah unterbrach das Schweigen.

„Eine herrliche Natur, dies Mädchen!"

„Den Adel des Weibes mit einer männlichen Seele verbindend," erwiderte Alonzo.

„Mein Vater muß viel für sie thun." Alonzo schwieg. „Eine Duenna, dies reizende Geschöpf! den Launen einer schwachnervigen Sennora unterworfen, wo denkt sie hin? Nun und nimmermehr!" Alonzo seufzte.

Beide Freunde trennten sich an der Pforte von Abarbanels Hause, jeder schien gern allein sein zu wollen, um ungestört seinen Gefühlen nachzuhängen. Wie wären sie sonst nicht Arm in Arm durch das Orangenwäldchen am Xenil gewandert, um den schönen Abend in trautem Gespräch zu verbringen. Dinah aber stand an der Brüstung des gothischen Fensters, in ihren schönen Augen standen Thränen, sie schauete zum besternten Himmel empor, bis sie geblendet vom Glanze der Sterne, der in ihre Thränen die Strahlen warf, die Mandoline ergriff und das Lied Ben=Gabirol's sang:

Deines Kummers vergiß, meine betrübte Brust,
Nicht der Erde Geschick störe den Frieden dir;
Bald, bald ruhet die Hülle
In dem Grabe und denkt deß nicht.

Eine Reb' ist der Mensch, Winzer der bleiche Tod,
Der mit Sichel und Schwert schaut und hält die Wacht,
Darum denke du, Seele,
Nur des ewigen Schöpfers Macht.

Kurz und schnell ist die Zeit, aber der Weg ist lang;
Drum der Leiden vergiß, denke des Grabes nur,
Und im Busen, da lebe
Nur die Furcht des Gerichtes dir!