Schweigend sah König BoabdelinAuch bekannt als Boabdil oder Abu Abdullah Muhammad XII., der letzte nasridische Emir von Granada. die Gesandten an, als sie ihm die Bedingungen vorgetragen hatten. „Ihr habt euch klug bedacht, Mauren!" redete er sie an, „ihr werdet euch wundern, wie der spanische König Wort hält, von mir verlanget die Unterzeichnung nicht. Ist das die Treue, die ihr mir gelobet? glaubt ihr an ein maurisches Reich ohne maurischen König?"
Sie hielten ihm noch einmal das Schreckliche der Lage vor, sie betheuerten, daß wenn noch ein Funke der Hoffnung, ihre Selbstständigkeit durch Gewalt zu retten, vorhanden wäre, sie sich unter den Trümmern Granada's begraben würden. Boabdelin maß mit großen Schritten das Gemach, er blieb während ihrer Rede stehen, reichte ihnen endlich die Hand, und sprach mit edler Resignation: „Wohlan es sei! öffnet mit der Frühe des Morgens die Thore, aber ich mag von der christlichen Gnade nicht leben, ich verlasse vor dem Einzuge der Spanier die Stadt, FezEine Stadt im heutigen Marokko, die zu dieser Zeit ein wichtiges kulturelles und politisches Zentrum der islamischen Welt war. ist mein Ziel, beim Könige jenseit[s] des Meeres werde ich eine Zuflucht suchen. Lebt wohl, ich danke für eure Dienste." Die Großen verließen trauernd den Palast, die Friedensfahne ward auf den Mauern von allen Seiten aufgepflanzt, die Feindseligkeiten ruhten, im spanischen Lager wurden Freudengelage gehalten. Wer vermag die Gefühle zu schildern, die des enttrohnten Boabdelin's Herz bestürmten! Die Nacht hatte sich über den Horizont gelagert, er verließ sein Lager, nur wenige treue Diener waren ihm verblieben, Stille und Oede herrschten in der noch gestern so lebhaften AlhambraDer prächtige Palast und die Festung der maurischen Herrscher in Granada.. Noch einmal schweifte sein Blick in die Ferne. „Du hast Blut und Thränen gekostet, du hast mir die Blüthe meiner Jugend geraubt, aber du hast meine Kraft nicht gebrochen, wunderbares Land!" Aber als er die fernen Freudenfeuer der Spanier erblickte, als er den Jubelruf der Menge vernahm, der auf den morgenden Tag Brod und Freiheit verkündet wurde, als er sich umsah in den weiten Räumen der Burg und keine befreundete Seele fand, als er gedachte, daß am morgenden Tage der verhaßte FerdinandFerdinand II. von Aragon, einer der "Katholischen Könige" Spaniens. an eben der Stelle triumphiren würde, während er den Eroberungen seiner Väter den Rücken wenden mußte, als er in seine Jugend zurückging und der traurigen Tage sich erinnerte, wo er mit seiner Mutter in Fesseln schmachtete, beide durch die Intriguen der zweiten christlichen Gemahlin seines Vaters verdrängt, als sein Blick auf die Moscheen fiel, in denen morgen christliche Mönche weilen würden — da wurde seine Seele von den Schatten der Verzweiflung umlagert, er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, er griff nach einer sorgfältig verwahrten Phiole, leerte ihren Inhalt und erwartete ihre Wirkung auf dem Divan ausgestreckt. Aber seine kräftige Natur widerstand den Wirkungen des veralteten Giftes, denn so furchtbar auch ihr Kampf mit derselben war, es gelang dem durch die bestürzte Dienerschaft herbeigerufenen alten Leibarzte, der Wirkung des Giftes Herr zu werden, ein tiefer Schlaf endete die schrecklichen Erscheinungen, und als er ermattet erwachte, leuchtete der Morgen, die Trommeln der spanischen Heere erschollen, sie standen vor den Thoren und der letzte der maurischen Könige wurde von seinen Treuen nach der Meeresküste gebracht. Das Schiff segelte nach Afrika's Küsten.
An den Thoren erwarteten die maurischen Behörden die einziehenden Spanier. Den ganzen Tag über dauerte der Zug, lautes Jubelgeschrei der wankelmüthigen Menge begrüßte die Sieger, auf stattlichen Rossen ritten Ferdinand und IsabelleIsabella I. von Kastilien, Ferdinands Ehefrau und Mitregentin. in die alte Stadt ein; jetzt erst konnten sie sich Könige von Spanien nennen. Lange Reihen von Wagen mit Lebensmitteln befriedigten die Besiegten. Wenige Stunden noch und der Bazar war wieder belebt, die Straßen voll von Menschen im traulichen Verkehr, die Folgen eines neunhundertjährigen Krieges schienen mit einem Tage verschwunden, das Lager wurde abgebrochen, das Geschütz nach der Stadt gebracht, in der Alhambra nahm der Hofstaat seinen Wohnsitz. Und als am Abend eine allgemeine Erleuchtung die Stadt erhellte, als auf den öffentlichen Plätzen ein feierliches Te Deum und die hohe Messe ertönten, glaubte man die Ruhe zurückgekehrt in das zerrüttete Reich. Aber mit neidischen Blicken und fanatischer Wuth sahen die Priester die MosleminMuslime, Anhänger des Islam. nach der Moschee eilen, dem königlichen Worte trauend, — das war keine Eroberung zu nennen, wo man Gott mit heidnischen Gebräuchen verehrte, der Ruf der Minarets zum Gebete verwundete ihren Stolz, die ImansGemeint sind Imame, muslimische Geistliche und Vorbeter. in ihren langen Gewändern wurden das Stichblatt ihres Witzes, der Gegenstand ihrer Verwünschungen. Und auch Ferdinand bereuete es, um solchen Preis Granada's Eroberung erhandelt zu haben. Wenige Wochen waren vergangen und man berief das Collegium der geistlichen Räthe, um über die Religionsangelegenheiten der neuen Unterthanen zu berathen. TorquemadaTomás de Torquemada, der erste Großinquisitor der spanischen Inquisition. saß an ihrer Spitze. Sein immer auf gewaltsame Handlungen gerichteter Sinn wußte die Schwankenden zu bestimmen, man sprach die merkwürdigen Worte aus, „daß ein christlicher König den Ungläubigen sein Wort nicht zu halten brauche." Augenblicklich wurde der Befehl zur Schließung der Moscheen gegeben, den Ulema'sIslamische Gelehrte und Rechtsexperten. bei Todesstrafe verboten, eine gottesdienstliche Versammlung zu halten, und aufgegeben, ihre Bücher zu verbrennen. Bestürzung traf das Volk, aber auf sie folgte eine allgemeine Aufregung. Dies hatte man erwartet und auch gewünscht, man hatte schon vorbereitende Maaßregeln ergriffen. Als die Mauren ihre Gotteshäuser erstürmen wollten, als sich die Bevölkerung mit den ihnen gelassenen Waffen zur Empörung stellte, wurde jedes Haus mit Soldaten besetzt, jede Straße mit Mörsern bepflanzt, man trieb die Mauren wie eine Heerde zusammen und ließ ihnen nur die Wahl, das Christenthum anzunehmen oder das Land zu verlassen. Viele Tausende thaten das Letztere und folgten ihrem Könige nach den afrikanischen Reichen, viele nahmen zum Scheine den neuen Glauben an, ohne deshalb den weiteren geheimen Verfolgungen zu entgehen, viele fielen verzweiflungsvoll unter dem Schwerte der Spanier. Die Herrschaft der Mauren in Spanien hatte somit ein Ende, das Land verlor seine betriebsamsten Einwohner, Volk und Regierung die Ansprüche auf edlern Ruhm.