Es war am 21. Februar des Jahres 1495, als das Heer des achten Karls von FrankreichKarl VIII. (1470-1498), König von Frankreich, der 1494-1495 einen Feldzug nach Italien unternahm und vorübergehend Neapel eroberte. in NeapolisLateinischer Name für Neapel, eine wichtige Hafenstadt in Süditalien und Hauptstadt des Königreichs Neapel. seinen Einzug hielt, denn dieser war im Kriege mit König Alfons von NeapelAlfons II. von Neapel (1448-1495), König von Neapel von Januar 1494 bis zu seiner Abdankung im Januar 1495 angesichts der französischen Invasion. und vertrieb ihn aus seiner Hauptstadt. Im Schmucke eines griechischen Kaisers zog der französische König ein, geschlagen waren die aragonesischenDas Königreich Neapel wurde zu dieser Zeit von der aragonesischen Dynastie regiert, die aus Spanien stammte. Aragón war eines der Königreiche, die sich später zum Königreich Spanien vereinigten. Truppen vor der Stadt, demüthig brachten die feigen Neapolitaner die Schlüssel dem fremden Monarchen. Auf den Straßen entstand alsbald ein fürchterliches Gewühl. Die Franzosen drangen in die Häuser und plünderten, und kein Wort der Feldherren und Machthaber konnte ihren Uebermuth bändigen. Vor Allem war der GhettoDas jüdische Viertel in italienischen Städten, oft ein abgeschlossener Bereich, in dem Juden gezwungen waren zu leben. Der Begriff stammt aus Venedig, wo 1516 das erste "Ghetto" entstand. ihrer Plünderungssucht ausgesetzt, hierhin strömte der trunkene Soldat und kehrte belastet mit den Habseligkeiten der Juden zurück. Vor einem Hause des Ghetto, das sich durch die Nettigkeit seines Aeußern vor den andern schmu[t]zigen Höhlen des Elends auszeichnete, hatte sich besonders ein gieriger Haufe gesammelt. Mit dem Pöbel im Bunde drängten die Krieger in die offene Pforte. Da kam ihnen die edle Gestalt eines Mannes entgegen. Der ungewohnte Anstand in seiner Haltung, die freie hohe Stirn, der scharfe Blick der Augen flößten Achtung ein. Und neben ihm stand ein Mädchen blassen Angesichts, aber in ungetrübter Schönheit strahlend. Es war Don Isaak AbarbanelDon Isaak Abarbanel (1437-1508), jüdischer Staatsmann, Philosoph und Bibelkommentator, der nach der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 in Italien Zuflucht fand. und seine Pflegetochter DinahDie jüdische Frau, die von Arama beschützt wurde und in die sich der christliche Hauptmann Alonzo verliebt hat. Nach der Trennung von Alonzo ist sie mit Abarbanel nach Italien geflohen.. „Verlanget Ihr Haus und Schätze, Freunde, redete er die Soldaten an, „hier sind sie." Bei diesen Worten ergriff er Dinah's Hand und trat auf die Straße. Der Haufe stutzte anfangs, aber bald wurde seine Freude überlaut und jubelnd zogen sie in die Gemächer des Hauses.

Abarbanel hatte die mit dem BarbareskenschiffeSchiff aus der Berberei, der nordafrikanischen Küstenregion (heutiges Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen), wohin viele spanische Juden nach ihrer Vertreibung flohen und von wo aus manche weiter nach Italien reisten. nach Italien gekommene Dinah in sein Haus zu Neapel aufgenommen. Hier hatte das mitleidige Herz Königs Ferdinand von Neapel den flüchtigen MarannenAuch "Marranen" genannt, waren zum Christentum konvertierte Juden und ihre Nachkommen in Spanien und Portugal, die oft heimlich ihre jüdischen Bräuche weiter praktizierten und nun vor der Inquisition geflohen waren. eine Zuflucht gewährt, die herrliche ParthenopeAlter poetischer Name für Neapel (Italien), abgeleitet von einer Sirene der griechischen Mythologie. nahm die Vertriebenen gastfrei auf, und am Fuße des VesuvesDer Vesuv, ein aktiver Vulkan nahe Neapel, dessen Ausbruch im Jahr 79 n.Chr. die römischen Städte Pompeji und Herculaneum zerstörte. fanden sich Tausende ein von den Ufern des TejoFluss auf der Iberischen Halbinsel, der in Spanien entspringt und durch Portugal in den Atlantik mündet. und GuadalquivirEiner der längsten Flüsse Spaniens, der durch Andalusien fließt und in den Golf von Cádiz mündet.. Ja selbst zu Ansehen war der seltene Mann wieder am Hofe des Königs von Neapel gelangt und benutzte dies, wie vordem, zum Heile seiner unglücklichen Glaubensbrüder. Aber das Alter nahete sich und keine Nachricht vom geliebten Sohne. Tröstend stand ihm Dinah zur Seite. Sie erheiterte die einsamen Stunden durch ihren trefflich gebildeten Geist, sie führte sein thatenvolles Leben vor ihm vorüber und suchte alle Momente hervor, die das Herrliche und Edle seines Strebens bekundeten. Aber ihr eigenes Herz war gebrochen. Nur einmal blühet die Liebe im Weibe und wird der befruchtende Himmelsthau für's ganze Leben, wehe, wenn dann der äußere Sturm die zarte Pflanze zerstöret. Dann waltet wohl der Lebenskeim weiter, aber er bringt nur Laub und Blätter, keine Blüthen.

Jetzt traten beide aus dem Ghetto. Da nahet sich der Zug des Königs, von Großen und Rittern gefolget. Und Einer unter ihnen, hervorragend an Gestalt und Schönheit, hebt das Auge auf und sieht auf das seitwärts wogende Volksgedränge; da trifft sein Auge die jüdische Jungfrau, und ihr Blick begegnet dem seinigen, Ein Purpur überziehet seine Wange; sie aber wird bleich und lehnt sich an ihren Begleiter. Noch lange schauet er zurück. Dinah bittet Abarbanel: „Laßt uns eilen, Vater, wir könnten Gefahr laufen. So eilen sie zum Meeresrande und eine Hütte Portici'sEine Stadt am Golf von Neapel, am Fuße des Vesuvs gelegen, etwa 8 km südöstlich von Neapel. nimmt sie auf. Kein Schlummer trifft das Auge des Mädchens, ihre Thränen rinnen, sie kämpft den Kampf der Liebe noch einmal. Und als die Sonne aus dem Meere auftaucht, als sie den Rauch des Kraters vergoldet, als ströme ein sanftes Opferfeuer aus dem Gipfel des Berges, und in der Citronenbäume Zweigen der Gesang der Vögel ertönet, da knieet sie nieder vor der Hütte und betet zu JehovahJehovah (oder Jahwe) ist der Eigenname Gottes in der hebräischen Bibel, der aus Ehrfurcht oft nicht ausgesprochen wird und durch Umschreibungen wie "der Ewige", "der Name" oder "der Herr" ersetzt wird., dem Vater der Liebe. Von der Ferne nahet indeß ein Ritter, es ist der Ritter vom gestrigen Tage, der tapfere Feldherr Königs Karl, der CapuaStadt in Kampanien, Italien, etwa 25 km nördlich von Neapel, die während der Invasion Karls VIII. eine wichtige strategische Rolle spielte. bezwungen und die Aragonesen geschlagen, es ist Don Fernando AlonzoDon Ferdinando Alonzo, der christliche Hauptmann, der sich in Dinah verliebt hat und nach ihrer Trennung in Spanien nun als Feldherr in den Diensten des französischen Königs Karl VIII. steht.. Sie siehet auf und er steht vor ihr.

„Dinah, erkennst du mich?" ruft er laut. In dem Augenblicke tritt Abarbanel aus der Hütte, sie eilt und umschlingt den Hals des Vaters. „Don Alonzo," spricht sie schluchzend, „unsere Lebenswege sind geschieden, hier, nur an dieser Stelle ist meine Heimath, ist meine Liebe, O fliehet, fliehet, folget dem Ruhme, folget dem Glücke, lasset den Marannen den Kummer und die Liebe. „Dinah, ich war dir treu, ich dachte deiner im Sturme der Schlacht, in der Stunde der Gefahr, am Tage des Glückes. Ach, noch einen Blick, noch einen Händedruck, und ich will gern scheiden." Sie reichte ihm die Hand. Wie Thauperlen auf Saron'sSaron (oder Sharon) ist eine fruchtbare Ebene an der Mittelmeerküste des heutigen Israel, die in der Bibel für ihre Schönheit und Blütenpracht bekannt ist. Lilien rollten Thränen auf den bleichen Wangen. Noch einmal sah sie ihn an mit der Zärtlichkeit unaussprechlicher Liebe, dann verbarg sie ihr Gesicht an der Brust= Abarbanels. Der Ritter eilte davon.

Noch denselben Abend konnte Abarbanel wieder in seinem Hause zu Neapel übernachten und war im Besitz seiner Habe. Wachen umstanden das Haus und verhüteten jede Gewaltthat. Er aber zog es vor, seinem vertriebenen Könige nach SicilienSizilien, die größte Insel im Mittelmeer, damals unter aragonesischer Herrschaft. König Alfons II. floh dorthin nach seiner Abdankung. zu folgen, wohin ihn Dinah begleitete. König Alfons ging in ein Kloster. Zu MessinaHafenstadt an der Nordostküste Siziliens, strategisch wichtig wegen ihrer Lage an der Meerenge von Messina. hörten sie die Nachricht vom Rückzug der Franzosen. Am TaroFluss in Norditalien, an dem am 6. Juli 1495 die Schlacht von Fornovo stattfand, in der Karl VIII. auf seinem Rückzug aus Italien gegen eine Allianz italienischer Staaten kämpfte. bei FormuovoFornovo di Taro, Ort in der Provinz Parma, Norditalien, Schauplatz der Schlacht von Fornovo am 6. Juli 1495. kam es zur blutigen Schlacht. Alonzo suchte den Tod und fand ihn.