Wer beschreibt den Schrecken, als die jüdischen Bewohner Spaniens die Worte des fürchterlichen DekretsBezieht sich auf das Alhambra-Edikt vom 31. März 1492, mit dem Ferdinand und Isabella die Vertreibung aller Juden aus Spanien anordneten, die nicht zum Christentum konvertieren wollten. vernahmen, wer das Unglück, welches hereinbrach in die geängstigten Familien! Aber auch unter den christlichen Bürgern erzeugte der Befehl eine Gährung der Gemüther. Man war nicht blind genug, um zu verkennen, daß diese Maßregel des MönchthumsBezieht sich auf den starken Einfluss der katholischen Ordensgeistlichen auf die spanische Politik, besonders durch die Inquisition. der Ausgelassenheit des Pöbels Thor und Thür öffnen werde, und wer vermag den überschwemmenden Strom der Volkswuth und des Fanatismus in sein Bett zurückzuführen? Da der Jude, wie Abarbanel richtig bemerkte, keine Schuldforderungen an den Bürger hatte, die anderswo die Entfernung des verhaßten Mahners als eine Befreiung vom bürgerlichen Drucke willkommen hießen, da er vielmehr die Herbeischaffung der Bedürfnisse für Edelmann und Bürger besorgte, und der Theil, welcher nicht mit den Wissenschaften beschäftigt war, größtentheils dem Handwerksstande zugehörte, so drohete eine völlige Auflösung aller bürgerlichen Verhältnisse. Man erkannte die politische Gewalt, welche die Geistlichkeit über Spanien gewonnen hatte, man merkte, daß man ihr zu freies Spiel gelassen, und daß die BigotterieÜbertriebene, zur Schau gestellte Frömmigkeit, die oft mit Intoleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen einhergeht. der Herrscher die Nahrungsquelle ihrer Schandthaten und des Verderbens des Landes wäre. Besonders waren die Großen aufgeregt, denn in den vergangenen Jahren hatten sie ihre Unabhängigkeit, und Viele, die sich dem Joche nicht unterwerfen wollten, ihre Güter eingebüßt; liebten sie auch die Juden nicht, so befreundet doch gleiches Schicksal selbst auseinanderstehende Partheien, und sie verloren an ihnen eine um so mächtigere Stütze, da jene Gewandtheit genug besaßen, sich in der Verwaltung der Güter, durch Rath in dringenden Lagen, durch devotes Benehmen, das dennoch weit von niederer Kriecherei entfernt war, unentbehrlich zu machen.

Unter den Juden selbst gab es eine Menge, die sich kräftig genug dünkten, im Bunde mit den neuen ChristenZum Christentum konvertierte Juden (Conversos), die oft unter dem Verdacht standen, heimlich noch jüdische Praktiken auszuüben., mit den MaurenMuslimische Bevölkerung in Spanien, die nach der Eroberung Granadas 1492 ebenfalls unter Druck geriet und schließlich 1609-1614 vollständig aus Spanien vertrieben wurde. und einigen Großen, mit gewaffneter Hand dem Verbannungsbefehl sich zu widersetzen und mit ihrem Leben ihr Eigenthum zu erkämpfen, ein anderer Theil hoffte auf Zurücknahme des Dekrets, oder tröstete sich mit besonderem Schutze des Himmels oder der Erwartung von Wundern; Andere aber fingen an, sich in die Nothwendigkeit zu fügen, und für ein Geringes Habe und Gut hinzugeben. Schon sah man lange Züge dieser von den kleinen Gemeinden, wo sie sich nicht sicher glaubten, nach den größeren Städten wandern. Den Mönchen und Machthabern konnte die allgemeine Aufregung nicht entgehen, sie waren auch nicht ohne Furcht vor der Verzweiflung der Vertriebenen. Darum wurden die angesehensten RabbinenJüdische Gelehrte und religiöse Führer, die als geistige Autoritäten in den jüdischen Gemeinden wirkten. aus den Städten entfernt und nach gewissen Orten hingewiesen, um ihnen die Gelegenheit zur Aufreizung der Volksmassen zu nehmen; darum erging Torquemada'sTomás de Torquemada (1420-1498), der erste Großinquisitor der spanischen Inquisition, bekannt für seine Härte bei der Verfolgung von Konvertiten und seine Unterstützung für die Vertreibung der Juden aus Spanien. schrecklicher Befehl, daß keinem Christen bei Todesstrafe erlaubt sei, einen jüdischen Flüchtling in sein Haus aufzunehmen, oder auch nur Brot und Wasser zu verabreichen.

Auch in GranadaStadt im Süden Spaniens, die letzte Hauptstadt des maurischen Reiches auf der Iberischen Halbinsel, die 1492 von den christlichen Truppen erobert wurde. wurden die königlichen Befehle verlesen. JehudahSohn von Don Isaak Abarbanel und ein wichtiger Charakter in der Novelle, der eine persönliche Entwicklung vom leichtsinnigen Jüngling zum verantwortungsbewussten Mann durchmacht. hatte nach jener Audienz AbarbanelsDon Isaak Abarbanel (1437-1508), jüdischer Staatsmann, Philosoph und Bibelkommentator, der am Hof Ferdinands und Isabellas diente und sich nach dem Vertreibungsedikt von 1492 für seine Glaubensgenossen einsetzte. den Befehl seines Vaters erhalten, alldort zu bleiben, sich mit aller Kraft, des Schicksals der südlichen Gemeinden anzunehmen; er forderte ihn dringend auf, den Leichtsinn der Jugend abzulegen, und durch große Entschlüsse und feste Führung seines Volkes dessen rettender Engel zu werden; er selbst wollte bei den nördlichen Gemeinden bleiben und zur Zeit ihm die ferneren Entschlüsse mittheilen. Es bedurfte dieser Aufforderung nicht. Der Jüngling war zum Manne gereift, die wenigen letzten Monde hatten der Welt den farbigen Rosenschimmer genommen, die grelle Wirklichkeit stand vor ihm mit ihren colossalen, erdrückenden Felsstücken; sein Herz war verwundet von hoffnungsloser Liebe zu dem Mädchen, das er bis jetzt mit den Augen des Bruders angesehen, und dessen Neigung zu dem im Kerker schmachtenden Freunde in ihm erst die Gefühle erweckten, die in dem kindlichen Gemüthe noch kein deutliches Gepräge angenommen hatten; sein Herz war verwundet von gekränktem Stolze, er sah die Größe seines Vaters schwinden, die ihn bis dahin unangreifbar und ein von sich selbst ergebender Vorzug geschienen hatte, — er sah den Zwiespalt, den die Leidenschaft unter den Menschen anrichtete, die er bis dahin als die freundlichen Genossen zur Verschönerung und Erheiterung des Lebens angesprochen hatte, — mit einem Worte, er fühlte die kalte Hand des Schicksals, welches ihm früher vom Menschen selbst abhängig gedäucht hatte. Es war ein fürchterliches Erwachen aus dem Morgentraume der Jugend, und die Sonne traf heiß die glatte Stirn. Im ersten Taumel dieses Erwachens, wo er die Eigenschaften des erfahrenen und geprüften Mannes an den Tag legen und im Gewühle umher mit ordnendem Geiste eingreifen sollte, sollte er zugleich sein eignes Selbst aufgeben und für Andere in die große Wage des Geschickes legen zu einer Zeit, wo dieses Selbst am stärksten angegriffen und erschüttert war.

Und dennoch war es vielleicht diese Last der Außenwelt, die hier für ihn ein rettendes Heilmittel wurde, im großen Interesse verliert sich das kleine, uns betreffende, und wäre es auch noch so edel, der innere Sturm in des Menschen Brust wird durch den äußern noch wildern übertäubt, der die Flamme im Herzen verweht, während äußere Stille sie verzehrend und aufreibend walten lassen würde. Aber auch mit DinahDie jüdische Frau, die von Arama beschützt wurde und in die sich der christliche Hauptmann Alonzo verliebt hat. Diese verbotene Liebe zwischen verschiedenen Religionen ist ein zentrales Motiv der Novelle. war eine Veränderung vorgegangen und diese wirkte mächtig auf Jehudah Abarbanel. Die erste Zeit, nachdem sie den väterlichen Freund und den Geliebten verloren, ging in einem stumpfen Trübsinn dahin, nichts fesselte ihre Aufmerksamkeit, sie bemerkte des Jünglings Kampf nicht, nicht die unbeschreibliche Zärtlichkeit, mit der seine Augen auf ihr ruhten, nicht seine stillen Thränen, nicht die Gluth seiner Hände bei der Berührung der ihrigen, nicht sein scheues Zurückwelchen und das Aufhören der sich hingebenden und dreistern Liebe des Bruders. AlonzoDon Ferdinando Alonzo, ein christlicher Hauptmann, der sich in die jüdische Frau Dinah verliebt hat und deshalb von der Inquisition verdächtigt wird. und AramaJüdischer Arzt und Beschützer von Dinah, der im vorherigen Kapitel in den Kerkern der Inquisition starb. waren ihre einzigen Gedanken, taufend Pläne ihrer Rettung beschäftigten sie Tag und Nacht, in der nur wüste Träume ihr Angstgefühl vermehrten, in denen sie bald den einen oder andern vom hohen Felsen in den Abgrund stürzen, bald in schweren Fesseln schmachten, bald auf weiten Meeren verschlagen und von den Wellen fortgerissen sah. Dieser Zustand schien ein Erlöschen des Lichtes ihres klaren Geistes zu drohen, nur die Kinder, die ihre Zärtlichkeit jetzt gegen sie verdoppelten, rissen sie aus demselben. Dann schauete das Bild des Vaters drohend auf sie herab, und die Erinnerung seiner letzten Worte, obgleich ein Hauch aus der Geisterwelt, wies sie zurück auf das Leben und fachte das Bewußtsein ihrer Pflichten lebhafter in ihr an. Und als sie nun das drohende Unglück ihrer gesammten Nation vernahm, als ein Brief von mönchischer Hand ihr das Schicksal Arama's schilderte und den Verdacht schwarzen Verraths auf Alonzo warf, da riß sie mit Gewalt das Bild des Geliebten aus ihrer Brust, — und obgleich sie die Schuld desselben zu bezweifeln anfing, so erfüllte sie doch Entsetzen vor den Peinigern ihres Volkes. Dieses zu retten, dieses zu trösten, für dieses zu sterben, — es waren Gedanken, die in ihrer hochherzigen Seele alle anderen verdrängten, und sie mit neuer Begeisterung für ihren Glauben erfüllten. Da griff sie nach den alten Urkunden, Deborah'sBiblische Richterin und Prophetin, die gemäß dem Buch der Richter das israelitische Volk zum Sieg gegen einen kanaanitischen König führte. Sie gilt als Heldin und Vorbild weiblicher Führungsstärke. Heldenthaten standen vor ihr, David'sKönig David, bedeutende Figur im Tanach (Hebräische Bibel), der als Dichter zahlreicher Psalmen gilt und für Juden ein Symbol für Führerschaft, Tapferkeit und Gottvertrauen ist. Gesänge und Jesaia'sJesaja, einer der bedeutendsten Propheten der Hebräischen Bibel, dessen Visionen von Erlösung und messianischer Hoffnung in Zeiten der Not besonders wichtig für die jüdische Tradition wurden. Verkündigungen entflammten ihren Muth, und je größer die allgemeine Verzweiflung wurde, desto mahnender wurde die innere Stimme. Jehudah hörte mit Verwundern die Worte des Mädchens; was die Lehre des greisen Vaters — auch er nicht vermochte, das vermochte die Geliebte, wurde für die Einigkeit seines Glaubens entflammt, und fühlte sich zu den höchsten Aufopferungen für denselben hingerissen.