Täglich traf man jetzt Jehudah auf dem BazarEin Markt oder Einkaufsviertel, typisch für orientalische Städte. neben der großen Kathedrale, zierliche Geschenke für seine Schwester kaufend, und dann mit hastiger Eile die Hauptstraße hinunter eilend, um den Triumph seines guten Geschmackes in den Augen Dinah's zu lesen. Gerade durch diese zärtliche Aufmerksamkeit auf kleine Bedürfnisse des Andern bezaubern Menschen von feinem Gefühl, durch das Errathen der leisesten Wünsche, durch Gefälligkeiten, deren seidenes Geflecht sich fester und sanfter um unser Herz herumlegt, als das schneidende Liebesseil einer großen Wohlthat. Diese erregt Bewunderung, Hochachtung, aber auch das Gefühl der Unterwürfigkeit, hinterläßt daher in niederen Seelen desto leichter Undankbarkeit; jene binden uns mit den Blumen des Frohsinns und der Freundschaft an einander und machen uns gegenseitig unentbehrlich.
Alonzo konnte hierin nicht mit seinem Freunde wetteifern, ein Strauß duftender schneeweißer Orangenblüthen mit goldgelben Früchten durchbrochen, ein Kranz von blühendem BentiscusVermutlich ist hier die Pflanze Pistacia lentiscus (Mastixstrauch) gemeint., um das Bild des geliebten Vaters zu hängen — das waren die Gaben, die er von seinen einsamen Wanderungen, die er jetzt mehr als sonst suchte, der still Geliebten verehrte, die diese Beweise schüchterner, aber eben so edler Aufmerksamkeit nicht mit der lauten Freudigkeit wie Jehudah's künstlich gearbeiteten Armspangen, wie die vom feinsten Holze gearbeitete MandolineEin Saiteninstrument, ähnlich einer kleinen Gitarre., aufnahm, aber mit einem Gefühle gemischt von erhabenem Stolze und stillem Danke.
Auf beide Freunde hatte der Umgang mit Dinah einen merkwürdigen Einfluß, beide dachten beständig nur an sie, vergessen und zurückgelassen wurden alle rauschenden Vergnügungen und selbst das Herumschweifen in der herrlichen Umgegend; beide lebten nur für sie, aber Jehudah hatte seinen ganzen jugendlichen Frohsinn nach dem Hause Arama's gerichtet und sprudelnder brach er in den Stunden, die er dort verweilte, hervor, wozu die geschäftige Thätigkeit Arama's, wenn er gerade gegenwärtig war, noch mehr Anlaß gab. Alonzo hatte sich aber auch bedeutend im Charakter geändert, der Strahl seines Lebens war nach dem einen Brennpunkte, seiner Liebe, die immer mächtiger wurde, gerichtet, Schwermuth trat an die Stelle der Heiterkeit, eine Veränderung, die Dinah nicht auffiel, weil sie ihn nie anders gesehen hatte, und die Jehudah nicht bemerkte, weil ihm die Freundschaft seines Alonzo in jeder äußern Gestalt genügte. Aber auch Dinah fühlte ihr Herz lebhafter in der Nähe des Spaniers klopfen und nie empfundene Gefühle entkeimten ihrer Brust.
Wiederholte dringende Aufträge seines Vaters hielten Jehudah eines Tages von seinem Besuche ab, Alonzo begab sich zum ersten Male allein nach der Wohnung Arama's, der ungewöhnlich lange ausblieb. Mit klopfendem Herzen stand Alonzo und mit sehnsüchtigem Auge sah er nach Dinah hin, die gedankenvoll an der Fensterbrüstung stand und auf die schwarzen Gestalten sah, die in der Dämmerung in die Pforte des gegenüberliegenden BenediktinerklostersEin Kloster des Benediktinerordens, einer christlichen Ordensgemeinschaft. schlüpften; ein Seufzer hob ihre Brust, überrascht sah sie den Jüngling hinter sich stehen.
„So gedankenvoll, SennoraSpanische Anrede für eine Dame, entspricht dem deutschen "Frau" oder "gnädige Frau"., und allein?" fragte Alonzo, langsam sich ihr nähernd und sich neben sie stellend.
Sie zeigte auf das Kloster, wo sich so eben ein großer Saal erhellte und wo die frommen Väter, um einen Tisch sitzend, eine ernstliche Berathung zu halten schienen. Beide sahen schweigend eine Zeitlang hinüber.
„Bei allem Unheil, das diese Verbindungen schon der Welt brachten," sagte Alonzo, „bewundere ich dennoch den Entschluß, der Welt zu entsagen und von ihr entfernt dem Heiligen allein zu leben. Es giebt Schicksale, die das Seil, das uns an das Irdische festhält, mit einem Male zerschneiden, wohl dem geängsteten Herzen, das dann im Höhern seine Ruhe findet."
Dinah schüttelte verneinend den Lockenkopf. „Ich kann Eurer Meinung nicht sein, SennorSpanische Anrede für einen Herrn, entspricht dem deutschen "Herr"., ich halte es für einen feigen Rückzug aus dem prüfenden Streite der Welt. Und selbst der Sünder, er mache in dieser Welt gut, was er ihr Böses gethan."
„Aber wenn alle Wünsche erstorben, wenn wir das Schönste, was wir besaßen, verloren haben, wenn die Befriedigung des Ehrgeizes uns anekelt, wenn betrogene oder zerrissene Liebe uns den Anhaltpunkt an allen Freuden geraubte" — —
Der Mond trat aus den Wolken über dem grauen Benediktinerkloster hervor und beleuchtete das erblaßte Angesicht Dinah's. Alonzo sah Thränen in den schönen Augen, er bemerkte das hörbare Klopfen ihres Herzens in dem hochschlagenden Busen, — er ergriff ihre Hand und führte sie hastig an seine Lippen. Sie zog sie leise zurück.
„Der Schmerz muß bitter sein, Sennor, Ihr seid so jung, und solltet ihn schon kennen?" Sie sprach dies in einem wehmüthigen Tone, mit zitternder Stimme, die bis zu den feinsten Fühlfäden seines Herzens drangen.
„Dinah," rief er feurig im Durchbruche aller seiner Empfindungen, „Dinah, ich kenne ihn nicht, o laß mich ihn nicht kennen und erfahren, kein Kloster würde meinen Gram verschließen, kein Priester meinen Schmerz stillen." — Bei diesen Worten zog er sie zu sich, umschlang sie mit seinem Arme und drückte sie an sein stürmisches Herz, und von der Allgewalt der Liebe ergriffen lehnte sie ihr Haupt auf seine Schulter, und die Thränen der Jüdin fielen auf das Ordenskreuz des spanischen Hauptmanns.
„Mädchen meiner Seele, Heilige meines Daseins, deine Liebe sei der Stern meines Lebens, Dinah, geliebte Dinah! Seit dem Abende, wo ich dich zuerst sah, ist keine. Minute verflossen, die ich nicht mit dir lebte, Ruhm, Ehre, Tapferkeit, was sonst mich begeisterte, es sind die Wandelsterne, die sich um die Sonne meiner Liebe drehen, o rücke sie nicht aus ihren Bahnen, Dinah, geht die Sonne unter — sie sinken in ihr Nichts zurück."
Dinah machte sich sanft aus seinen Armen los. „Don Alonzo, spanischer Christ!" sagte sie in einem feierlichen Tone, von Schluchzen unterbrochen, das Gesicht abgewendet und mit den Händen es bedeckend, — „Ihr liebt die Jüdin, die Blüthe meiner Jugend ist durch meine Liebe gebrochen — für Euch ist's noch Zeit — das Kreuz des Glaubens steht zwischen uns."
„Glaube, meine Dinah, Glaube ist Seligkeit, und ein vergiftetes Leben ist keine Seligkeit, und dann der Glaube ein todtes Wort. Laß fahren, Angebetete, das todte Wort, mir gehörst du an, der dich zuerst erkannte, der dein schönes Wesen zuerst erfaßte. Was unsere Ahnen vor Tausenden von Jahren bestimmten, was kalte Menschensatzungen gaben, was kümmert es die lebendige Liebe? es ist kein Gesetz für unser neues Leben, das geistige und freiere unserer verschlungenen Seelen, es treibt die Blüthen unsers Glückes nicht, es ist der kalte, eisige Grabstein, der die Aschenkrüge zertrümmerter Glückseligkeit bedeckt. Dinah, die Liebe steht höher als das Gesetz, denn sie ist das Leben selbst, welches das Gesetz durchdringen soll, sie ist der Abglanz, sie ist das Wesen der Gottheit, die Alles umfaßt. O, wenn du selbst mit eisernem Dolche einer starren Wirklichkeit mich aus süßen Träumen wecktest — das Erwachen wäre der Tod."
Während dieser Worte hatte sich ihr Gesicht zu ihm hingewendet, es glich dem der Statuen, welche die großen Künstler des Alterthums von ihren erhabenen Gottheiten hinterlassen haben und in denen der lebendige Ausdruck des Geistes auf die todte Masse hingezaubert ist. In dem Auge aber glänzte die höchste Zärtlichkeit, auf der Stirn thronte der Adel der Gesinnung, der Mund lächelte wehmüthig und doch zum Entzücken süß, in allen Zügen verrieth sich eine liebevolle Aufmerksamkeit, noch nie gehörte Töne zu vernehmen, Töne aus einer andern Welt, die die Seele fortrissen zum Höchsten und doch wieder zum Geliebten zogen. Der ganze Zauber der Gestalt hatte etwas Aetherisches. „Alonzo! Alonzo!" rief sie aus der geängsteten Brust und stürzte in die Arme des Geliebten, aber dieser Ruf klang mehr wie eine Warnungsstimme, als wie die Stimme der Ergebung. Drüben im Kloster ertönte das benedicta alma mater im harmonischen Chor, über den Zinnen glänzte der Abendstern.
In demselben Augenblicke hörte man das verwirrte Geschrei mehrerer Stimmen vor der Hausthür, diese fiel krachend zu, daß das alte Gebäude erschütterte und in dem Zimmer ein Gemälde von der Wand fiel — es war das Gemälde Nissa's, Dinah's Vater. Sie riß sich aus den Armen Alonzo's, sie stürzte auf das Bild und fiel erschöpft mit ihm auf den Divan. Jetzt trat keuchend Arama ein, hinter ihm die Duenna mit Licht.
„Aluba med intha deassja podagris!" rief er wüthend aus, „seit die verfluchten Spanier in Granada sind, hat alle Ordnung aufgehört!" — Jetzt bemerkte er den königlichen Hauptmann und schien verlegen über den Ausruf.
„Ah, sieh da unsern Freund Don Alonzo — verzeihet dem Ausbruche meines Unmuthes. Gegen den neuen Pöbel, den Ihr in die Stadt gezogen und der Hunger und Durst mit maurischem und jüdischem Blute stillen möchte, verhielt sich unser voriger arabischer Gott verzeih' mir die Sünde! — wie Mischna zur Gamara. Jener erklärt uns erst, was dieser gemeint. Mein Gott! Es sind nun 39 Jahre her, daß ich in Constantinopel die Türken und Seldschucken einrücken sah, da wurden doch wenigstens Männer wie ich, die das Heil bei sich führen, geschont. Ich will da einen achtzigjährigen, vornehmen kranken Mauren besuchen, dem man vor vierzehn Tagen Wasser auf den Kopf gegossen, und der immer sehr respectabel sich gegen mich aufführte, kommt mir der Diener eines kastilischen Markese entgegen und befiehlt trotzig, ich solle den Augenblick zu seinem Herrn kommen, er läge schon seit einer Stunde im Fieber. Ich vertröste ihn bis zu meiner Zurückkunft vom sterbenden Mauren zu warten, der Kerl wird wüthend, ein junger spanischer Doctor, der vielleicht erst vor 14 Tagen den Schlußstein zu seiner Weisheit in Sevilla legte und deren zu unserm Leidwesen jetzt Schaaren nach Granada kommen, bietet sich dem Diener an. Unterdeß hat sich ein Haufe Volks versammelt und verfolgt mich mit Steinwürfen und Schimpfreden bis zum Hause."
Noch immer hörte man das Toben vor dem Hause, das sich erst nach und nach verlor. Erst dann gewann der bestürzte Arama seine volle Besinnung wieder. Dinah näherte sich ihm freundlich, er beruhigte sie, doch die Eindrücke der letzten Stunde hatten ein Zittern aller ihrer Glieder erregt, sie stand blaß und einer Ohnmacht nahe neben dem Alten, ihre Hand auf seine Schulter stützend. Alonzo sah erschrocken auf sie hin, und auf sie zueilend rief er: „Ihr seid krank, Sennora, Arama helft!" Dieser stürzte aus dem Zimmer, kam schnell mit einem feinen krystallnen Fläschchen voll kostbaren Oels, steckte es Alonzo in die Hand, eilte wieder hinaus, und mehrere Pulver zu reiben beginnend, während Dinah, Alonzo's Unterstützungen abwehrend, sich in einen Sessel niederließ, machte er seinem Herzen Luft. „Arme Dinah, holde Tochter, ich bin gleich bei der Hand — die verfl— das unsinnige Volk! verdirbt mir meinen schönen Abend, den ich heute so traulich mit meiner Dinah zubringen wollte. Doch es wird vorübergehen — es soll mir zur Warnung dienen! Don Alonzo, Ihr seid ein guter Christ oder vielmehr ein guter Mensch, aber ich versichere Euch, es geht Eurem Spanien noch wie Sodom und Gomorrha. Großer Gott! wir sollen gute Bürger sein und sie lassen uns keine bürgerliche Freude, wir sollen Eure Könige wie Kinder lieben und sie sind uns harte Stiefväter, wir sollen uns brüderlich anschließen und Ihr hetzt uns wie das Wild des Waldes, und wollet Liebe ernten, wo Ihr Haß säet. Mah nomar, mah nedabehr? Liebe Dinah, diesen Trank nimm und es wird die besser werden."
Unten wurde wieder geklopft und bald darauf führte die Duenna einen Benediktinermönch in die Stube. In langem härenen Chorrock, um den ein weißes Tuch um den Hals gebunden war, stand der Mönch da, und sah mit großen Augen im Zimmer umher, bald auf den alten Arzt, bald auf Dinah oder Alonzo seinen forschenden Blick richtend. In den kleinen Augen malte sich die List, im halbgeöffneten Munde die Bosheit, das Gesicht war voller Furchen, die Physiognomie des frommen Bruders trug die Spuren jahrelanger Leidenschaften, die in der Person verborgen gewüthet haben mochten.
„Ihr seid der Judenarzt Arama?"
„Zu dienen, würdiger Pater."
„Der Prior meines Klosters läßt Euch augenblicklich zu sich hinüber bitten, er hatte beim Abendgebet ein schnelles Uebelbefinden." —
„Ich bin bereit." Wiederum wurde geklopft; Jehudah Abarbanel trat ein, mit gewohnter Heiterkeit die Freunde begrüßend. Arama entschuldigte seine Entfernung. „Gam bimnuchatam loh jischkenu reschaim," murmelte er für sich hin. Der Mönch sah ihn hohnlächelnd an, als verstünde er den Sinn der Worte. Beide gingen hinweg. Jehudah war betroffen, hier Alles so gespannt zu finden, Alonzo erzählte ihm Arama's Begegniß. „Arama ist ein Thor," bemerkte er, „wäre er zum Castilier gegangen und hätte dem Mauren eine Stunde später an den Puls gefühlt," — und somit setzte er sich zu Dinah, sie mit Fragen bestürmend, während Alonzo mit großen Schritten das Zimmer maß. Nach einer langen Stunde kehrte Arama zurück. Mit des Priors Krankheit hatte es nicht viel auf sich, er hatte vielmehr den Arzt so lange zurückgehalten und über seine Familienverhältnisse ausgefragt. Es war spät, die Jünglinge verabschiedeten sich, Alonzo warf der Geliebten noch einen zärtlichen Blick zu. Das Verhängniß hatte aber schon längst in die Räder ihres Glückes gegriffen.