Im Vorsale des Königs FerdinandFerdinand II. von Aragon, einer der "Katholischen Könige" Spaniens. sah man die Großen des Königreichs in einzelnen Gruppen stehen. Ihr Gespräch war der nahe Untergang Granada'sLetzte maurische Hochburg auf der Iberischen Halbinsel, deren Fall 1492 das Ende der Reconquista markierte.. Schon richtete man die Mörser auf die AlhambraDer prächtige Palast und die Festung der maurischen Herrscher in Granada., jene alte Burg der maurischen Könige, und man konnte deutlich die Unruhen in diesem Palaste bemerken: die zerbrochenen gothischen Fenster und das zerstörte platte Dach, ja die vom Giebel heruntergeschossene Fahne des Propheten. Der allgemeine Sturm war auf die heutige Nacht bestimmt.
In einer Ecke des Saales waren TorquemadaTomás de Torquemada, der erste Großinquisitor der spanischen Inquisition., XimenesVermutlich Francisco Jiménez de Cisneros, ein einflussreicher Kardinal und Großinquisitor. und andere Priester im Gespräch begriffen, die Unterhaltung drehete sich um die Güter, die vor 900 Jahren im Gebiete von Granada der Geistlichkeit gehörten, ein Franciskaner erzählte die Art und Weise, wie die fremden Mauren auf spanischen Boden gelangten und durch Verrath hier an Macht und Herrschaft gewannen.
Schweigend und anscheinend gedankenvoll durchschritt mit großen Schritten ein sich durch Gestalt und edle Haltung auszeichnender Mann den Saal, von dem die andern wenig Notiz zu nehmen schienen, oder zuweilen mit schaalem Blicke und verzogenem Gesichte auf ihn herabsahen. Sein Körperbau war kräftig, von den breiten Schultern hing der spanische Mantel herab, das Haar schlicht nach hinten gestrichen, die Physiognomie höchst ernst, die Stirn voller Adel, die Nase höchst gebieterisch. Trotz seiner Theilnahmlosigkeit am Gespräch lauschte er doch bald hier, bald dorthin nach den Gruppen. Es war Don Isaak AbarbanelIsaac Abravanel, ein bedeutender jüdischer Staatsmann, Philosoph und Bibelkommentator, der als Finanzberater für verschiedene Monarchen, einschließlich Ferdinand und Isabella, tätig war., der Geheimrath des Königs von Aragon. Endlich wendete sich Ximenes an ihn.
„Wie stark mag Eure Gemeinde in Granada sein, Don Isaak?"
„Ich weiß es nicht," erwiederte der Geheimrath stehen bleibend, „ich war nie in dieser Gegend."
„Solltet Ihr, der erste Jude in Aragon, nie Kenntniß davon erhalten haben?" bemerkte Torquemada.
„Nein, würdiger Pater, mich kümmert die Anzahl der Juden und Mauren in Granada nicht, des Königs Dienst beschäftigt mich allein."
In demselben Augenblicke trat ein Page und entbot den Don Isaak Abarbanel in's königliche Gemach. Ferdinand war gnädig und heiter am heutigen Tage.
„Ich habe Euch nach dem Hauptquartier beschieden, mein Lieber, Ihr wißt, wie höchst nothwendig mir Eure Gegenwart ist."
Der Geheimrath verneigte sich: „Meine Kräfte stehen zu Willen Eurer Königlichen Majestät."
„Glaubt Ihr, daß der königliche Schatz durch Granada's Einnahme gewinnen wird?"
„Die Güte meines Königs wird ihn eben so viel treue Unterthanen gewinnen lassen, als Granada Einwohner zählt. Es ist dem Mauren gleich, von wem er beherrscht wird, wenn ihm die königliche Gnade seine Moscheen läßt. Sie werden ihre Steuern dann eben so bereitwillig liefern, als sie es BoabdelinAuch bekannt als Boabdil oder Abu Abdullah Muhammad XII., der letzte nasridische Emir von Granada. gethan."
„Kann sein, aber des maurischen Fürsten Schatzkammer muß reichlich gefüllt sein?"
„Das wohl, Majestät, wenn nicht schon der größte Theil nach Afrika geschickt wurde. Gelänge es, rasch und bald zur Einnahme der Stadt zu gelangen, so ließe sich davon mehr erwarten."
„Wie stark ist Eure Gemeinde in Granada, Abarbanel?"
„Ist meines Königs Diener nicht bekannt — der größte Theil besteht aus Gelehrten."
„Und dabei reich," setzte Ferdinand rasch hinzu und gnädig lächelnd. „Die spanischen Juden verbinden Reichthum mit Gelehrsamkeit, ich habe das glänzendste Muster vor mir stehen."
Abarbanel verneigte sich: „Mein Wissen ist gering, königlicher Herr, wo es mir nicht zu meines Königs Diensten aushilft."
„Wir brauchen Geld, Geheimrath. Die lange Belagerung hat die Kräfte Aragoniens und Kastiliens geschwächt — ein doppelter Sold ist seit acht Tagen den Truppen ausgezahlt worden, die heutige Nacht muß dem blutigen Kampfe ein Ende machen. Ich werde Euch zum General=Pächter der Finanzen der neuerworbenen Provinzen machen. Wäret Ihr im Stande heute dem Zahlmeister 50,000 Piaster zu liefern?"
Abarbanel stutzte einen Augenblick. „Sie stehen zu meines Königs Diensten."
Nehmt die Versicherung meiner königlichen Gnade an. So Gott will, sprechen wir uns morgen in der Alhambra."
Ein Page trat ein. Er meldete eine Gesandtschaft vom maurischen Fürsten. Abarbanel wurde verabschiedet, der König schien freudig aufgeregt.