Auf den Straßen Granada'sLetzte maurische Hochburg auf der Iberischen Halbinsel, erobert 1492 von den christlichen Königen. war es schon lebhaft, hinausgezogen zur Waffenübung war mit klingendem Spiele die Mannschaft, — die FrühmetteFrühester Gottesdienst am Morgen in der katholischen Kirche. war beendigt, die Mauren, jetzt neue Christen, saßen in ihren Läden und erwarteten die Käufer, Bettelmönche gingen aus den neugestifteten Klöstern, um die Gaben zu sammeln, da verließ Abarbanel den Betsaal seiner Gemeinde noch vor beendigtem Gottesdienste. Ehrerbietig machten die an den Pforten stehenden Armen dem Geheimrathe des Königs Platz, und empfingen die Gaben, die er mit den Händen austheilte, ohne daß die Augen zuvor die Gabe und den beschämten Empfänger ansahen. Abarbanel bog nun um eine Ecke in die uns wohl bekannte Straße, bald fand er die Behausung der Tochter Nissa's. Die Thür war verschlossen und öffnete sich erst nach wiederholtem bescheidenen Klopfen. Beim ersten Anblick der ihm ehrerbietig entgegenkommenden Dinah war für ihn das Benehmen seines Sohnes kein Räthsel mehr. Dinah war über die Ankunft des ehrwürdigen Mannes keineswegs betroffen, die Erscheinung eines solchen Mannes konnte nur Heil bringen; sie war mit dem Ordnen der Papiere ihres Vaters beschäftigt, bei jedem neuen Funde neue Thränen vergießend und die köstlichen Reliquien an ihre Brust drückend.

„Forschest du nach dem Vermächtnisse deines Vaters, Nissa's Tochter?“

„Das nicht, ehrwürdiger SennorSpanische Anrede für "Herr", als Zeichen des Respekts., sein Vermächtniß bewahre ich in der innersten Kammer meines Herzens, sein Angedenken lebt ewig; aber ist es dem schwachen Sterblichen zu verdenken, wenn ihm jedes äußere Zeichen, wo es noch dazu die Verkörperung des Wesens unserer lieben Verblichenen ist, werth und theuer ist?“

„Das Andenken des Gerechten wird zum Segen, sagt die Schrift. Du kennst mich vielleicht schon, meine Tochter?“

„Ich hatte nie die Ehre Euch zu sehen, Sennor. Aber täuscht mich meine Ahnung nicht, so stehe ich vor dem edelsten Israeliten seiner Zeit, vor dem königlichen Geheimrath Don Isaak Abarbanel.“

Dieser lächelte. „Du hattest gestern Besuch, Tochter Nissa's?“ — Sie erröthete. — „Zwei Jünglinge, der eine mein Sohn, hatten den Auftrag, sich selbst zu überzeugen, ob der ungewöhnlichen Zierlichkeit der weiblichen Handschrift die Schreiberin entspräche. Du scheinst viel gelernt zu haben, mehr als ihr deutschen Frauen es sonst wohl pfleget.“

„Ich verdanke das Wenige, was ich weiß, meinem Vater. Meine Erziehung war die besondere Beschäftigung seines Lebens.“

„Wie lange lebst du in Spanien?“

„Seit meinem zweiten Jahre, ich zähle deren achtzehn.“

„So jung und doch so gescheut?“

„So jung, Sennor, und doch viele traurige Jahre verbracht.“

„Wovon lebte dein Vater?“

„Vom Abschreiben der Gesetzesrollen.“

„Ein spärlicher Nahrungszweig, leider!“

„Er war ergiebig genug, um unser Leben zu fristen, heilig genug, um uns Entbehrung zu lehren.“

„Du wünschest ein Unterkommen, ich kann dir ein glänzendes verschaffen; willst du DuennaEine ältere Frau, die als Anstandsdame oder Gouvernante für junge Frauen in spanischen oder portugiesischen Haushalten diente. einer Prinzessin werden?“

„Bei dem Gott unserer Väter! nicht um alle Güter der Welt, ehrwürdiger Sennor, das kann Euer Ernst nicht sein. Mein Glaube ist ein heiliges Kleinod.“

„Den brauchst du unter den Großen nicht aufzugeben.“

„Nicht aufgeben, edler Mann, nicht aufgeben um alle Freuden und Leiden der Erde, aber ich bin ein schwaches Mädchen, an die Stille des Hauses gewöhnt, die Gefahren, die dort meiner warten, sind groß, edler Herr, des Israeliten Beruf ist Eingezogenheit, Religionsübung. Kann ich diesen im Geräusche der Welt erfüllen, bin ich erfahren und kräftig genug, um der Gewalt der Lockungen zu widerstehen?“

Abarbanel war gerührt, auch war die Anfrage eine bloße Prüfung. „Du bist ein edles Mädchen, also keine Duenna! Aber mein Haus wirst du doch nicht verschmähen, da kannst du ungestört deinen Geist weiter ausbilden, hast keine Verfolgungen deines Glaubens zu erwarten; ich sehe, du treibst das Saitenspiel, mir fehlt ein weibliches Wesen, meine Mußestunden zu erheitern, der Himmel hat mir keine Tochter verliehen, das Weib meiner Jugend ist in LissabonHauptstadt Portugals, an der Mündung des Tejo gelegen. begraben.“

Das Mädchen war bestürzt, sie schien den Gleichmuth, den sie bei der Unterhaltung bis dahin gezeigt hatte, verloren zu haben, aber in wenigen Augenblicken faßte sie sich.

„Dank, edler Sennor, innigen Dank Euch für Euere Güte,“ sagte sie gerührt, „Ihr Fels der Rettung, Ihr Stab der Armen! Welch herrlicheres Loos könnte mir beschieden werden, als in Eurem Hause, der Ihr mit Vaterherzen Eure Nation umfaßt, aufzuthauen die kalte Eisrinde, die in jetziger Zeit unser Leben umschließt. Doch, verzeiht der Undankbaren, — ich kann jetzt auch diese Stätte nicht wählen — erlaubet mir mein Trauerjahr im Schooße einer bürgerlichen Familie zu verbringen, wo ich abgeschieden von allem dem, was mich zu früh wieder für die Welt und ihre Reize gewinnen könnte, mich vorbereite zu den schönen Tagen in Eurer beglückenden Nähe. Ich muß mich erst fassen, ich muß meiner Pflichten erst lebhaft klar werden.“

Abarbanel brach davon ab, — er hatte dies nicht erwartet. Er erkundigte sich nach ihren Bekannten, sie theilte ihm den Namen eines alten Arztes, frühern Freundes ihres Vaters, mit, bei dem sie gern bleiben möchte. Abarbanel übernahm selbst die Sorge für ihre näheren Verhältnisse, und so wurde bestimmt, daß sie mit dem morgenden Tage ihre Wohnung verlassen sollte.